Birkenhof
(Aju), (Version 14.09.23)
Der Birkenhof wurde 1927/28 in damaliger Stadtrandlage in Oberhausen (Donauwörther Str. 155) im Augsburger Norden nahezu zeit- und baugleich zu seinem Pendant, dem Eschenhof in Lechhausen, im Rahmen des städtischen Wohnungsbauprogramms von 1927 als streng symmetrische Vierflügelanlage errichtet. Auftraggeber war die damals neu geschaffene Augsburger Wohnungsbaugesellschaft (WBG)1, in deren Besitz sie sich bis heute befinden. Beide Höfe gehören zu den größten und bedeutendsten Bauensembles des kommunalen sozialen Wohnungsbaus der Weimarer Republik in Augsburg2 und stehen seit längerem unter Denkmalschutz. Zur Zeit ihrer Erbauung waren im Stadtgebiet 363 „wohnungslose, räumungsbeklagte, seit langer Zeit vorgemerkte, auch tuberkulöse Familien und Schwerstkriegsbeschädigte“ erfasst.3 Für deren Unterbringung entwarf Otto Holzer (1874-1932), Stadtbaurat in Augsburg von 1911-1932, die beiden sog. „Hilfswohnungsanlagen“. Im Fall des Birkenhofs wird der Bezieherkreis zusätzlich als wohnungslose Arbeiter der höchsten Dringlichkeitskategorie und ihrer Familien konkretisiert. (Wolf 2000:77)
Hintergrund der innovativen Baumaßnahme war eine Wohnungsnot bislang ungeahnten Ausmaßes in Augsburg, die sich seit dem späten 19. Jahrhundert ständig verschärft hatte und in den frühen 1930 Jahren mit über 10.000 Wohnungssuchenden (Wolf 2000:28) bei ca. 177.000 EW ihren Höhepunkt fand. In der ersten Dekade nach dem Ersten Weltkrieg versuchte die Stadt Augsburg noch mit Barackenanlagen bzw. Notbaracken der Wohnungsnot Herr zu werden, ein, wegen zu hoher Folgekosten, bald wieder verworfenes Interim. Auch die beiden „Hilfswohnungsanlagen“ sollten nur vorübergehend Wohnungssuchende aufnehmen und „in späteren Jahrzehnten eine Verwendung zu irgendeinem gemeindlichen oder öffentlichen Zweck (z. B. Pfründeheim, Verwaltungsgebäude, Kinderheim, Lehrlingsheim und dergleichen) möglich sein“.4 Bezeichnenderweise wurde der geplante Funktionswechsel beider Wohnhöfe nie vollzogen. Durchgängig seit nahezu 100 Jahren bieten die beiden Wohnanlagen bis heute den aktuell wieder dringendst benötigten sozial gebundenen Wohnraum als Alternative zum freien Wohnungsmarkt.
Vorbild beider öffentlich errichteten Wohnanlagen waren, wie etwa zeitgleich auch an anderen Orten Deutschlands und einiger anderer europäischer Länder, die heute berühmten kommunalen Wohnhöfe Wiens nach Ende des 1. Weltkriegs: Denn das Wiener Beispiel zeigte, dass gerade solche, vom Grundriss und der Kubatur (d. h. umbauten Raum) an barocke Schlösser erinnernde städtische Großbauten, sich als äußerst sparsam und effizient im Materialeinsatz und im seriellen Bauen bis ins Detail erwiesen.
Anlage und Architektur
Die gänzlich geschlossene und streng symmetrische rechteckige Vierflügelanlage (mit zwei längeren und zwei kürzeren Gebäudeflügeln) des Birkenhofs besticht durch eine von wenigen Ausnahmen abgesehenen, ornamentfreie Architektur im Stil des Neuen Bauens bzw. der Neuen Sachlichkeit.5 Die nach innen geneigten Pultdächer der durchgängig viergeschossigen Bebauung stellt eine Art Kompromiss zwischen den traditionellen Sattel- und den Flachdächern des neuen Bauens dar. Dass der mit vielen Bauten in Augsburg eher dem Heimatstil verbundene Stadtbaurat Holzer hier erstmals in neusachlicher Anmutung wirkte, dürfte nicht zuletzt dem Zwang zur Sparsamkeit geschuldet sein (‚einfach’, ‚billig’ und ‚massiv’), angesichts der als sehr gering zu erwartenden Mieteinnahmen (s. o.). Zugleich weisen insbesondere die zwei mittig aus den beiden Längsflügeln aufragenden Tortürme mit Flacherkern ins Monumentale. Damit und mit der baulichen Rundumabschließung wirken die beiden ‚Schwesterhöfe’ stärker wie alle anderen Augsburger Wohnhöfe wehrhaft und zugleich von der Umgebung abgeschottet. An den zwei Ecken der vorderen Längsseite befinden sich Ladeneinbauten. Geplant wurden sie mit jeweils 272 Einzelräumen, die sich nach Bedarf zu 113 Wohnungen zwischen 31 und 60 qm gruppieren ließen. Wolf (2002:48) Bereits Holzer waren die mit der sparsamsten Ausführung sozialen Bauens verbundenen Schattenseiten beider Höfe – Massierung kinderreicher Familien und hygienische Probleme angesichts von Gemeinschaftstoiletten – durchaus bewusst. Immerhin zeigen beide Wohnanlagen an den Tortürmen die für städtische Bauten übliche ‚Kunst-am Bau’-Ästhetik, sogar in Variation zueinander (s. Eschenhof): Im Fall des Birkenhofs tragen zwei mythologische Hunde als „Tiere der Schwelle“6 die Flacherkerkonsolen. Ihre Ausführung ist expressionistisch kantig. Und ein einköpfiger Adler mit ausgebreiteten Schwingen, prominent auf der Oberseite des Flacherkers am vorderen Torturm sitzend, hält einen Schild mit jeweils rot gehaltener Inschrift „AD 1928“ und dem schematisierten Stadtpyr. Zwischen 2011 und 1913 erfolgte im Birkenhof wie bereits ca. 10 Jahre zuvor im Eschenhof eine denkmalgerechte Generalsanierung, die im 1.850 qm großen Innenhof angebaute Balkone oder Loggien für alle Wohnungen, eine neue Hofbegrünung sowie eine Tiefgarage einschloss.
Literatur
- Lurker; Manfred (1985): Wörterbuch der Symbolik, Stuttgart
- Wolf, Barbara (2000): Wohnarchitektur in Augsburg. Kommunale Bauten der Weimarer Republik, Augsburg, Hg. Architekturmuseum Schwaben
- Wolf, Barbara (2002): 75 Jahre kommunales Bauen. WBG – Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Augsburg GmbH – 1927-2002, Augsburg, Hg. WBG
- Internetportal „Vielfalt der Moderne. Architekt und Kunst 1900 bis 1935“, Stichwort ‚Augsburg: Birkenhof’ https://vielfaltdermoderne.de/birkenhof/ (abgerufen am 12.09.23)